Freude an Weihnachten – das braucht seine Zeit

Weihnachtsbaum 2

„Das war überhaupt das Schlimmste als ihr Zeugen Jehovas geworden seid,“ sagte mein Vater „dass ihr kein Weihnachten und keinen Geburtstag mehr gefeiert habt.“ Mein 78jähriger Vater sagte das mit Tränen in den Augen und ich war völlig perplex. Die 15 Jahre, als wir dabei waren, hatte er darüber nie ein Wort verloren. Es machte mich sehr betroffen. Er wollte darüber auch nicht weiter sprechen. Zu sehr schmerzte es ihn.

Denke ich an meine Kindheit zurück, dann war Weihnachten tatsächlich aufregend. Wir hatten immer einen großen Baum, der überwiegend mit Süßigkeiten geschmückt war. Wir sangen Weihnachtslieder, die Großeltern kamen und es gab traditionell Kartoffelsalat und Würstchen.

Bevor wir uns entschlossen Zeugen Jehovas zu werden, feierten wir noch ein letztes Mal. Ich hatte einen schönen großen Baum, ganz in lila. Die Freude stellte sich dennoch nicht recht ein, denn wir wussten ja bereits, dass das verboten war und hatten ohnehin unsere Last mit der letzten Zigarette. Im neuen Jahr sollte es dann ernst werden.

Nach meinem Ausstieg feierten wir wieder ein erstes Mal. Es war sehr lustig. Während wir das Essen besorgten, wollten meine hineingeborenen Kinder den Baum schmücken. Sie riefen uns ganz aufgeregt auf dem Handy an und fragten, was sie mit dem komischen silbernen Zeug machen sollten. Wir hatten nur ein ganz kleines Bäumchen und als wir das Ergebnis sahen, bogen wir uns vor Lachen. Vor lauter Lametta war nichts mehr von dem Bäumchen zu sehen.

Jetzt sind die Kinder aus dem Haus. Weihnachten ohne Kinder? Das ist doch nichts, oder? Wir haben auf Weihnachten verzichtet. So wichtig war es uns nicht. Aber in diesem Jahr hatte ich einfach mal wieder Lust auf Weihnachten. An der Ecke erstand ich ein winziges Bäumchen für € 2,–. Es steht auf dem Küchenregal.

Das ist es, was ich den Zeugen Jehovas am meisten vorwerfe. Sie haben uns für viele Jahre die Freude genommen an so harmlosen Festen wie Weihnachten oder Geburtstag. In diesem Jahr genieße ich es das erste Mal wieder – ohne jeden Anflug eines unguten Gefühls.

Ich wünsche euch allen: Fröhliche Weihnachten!

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Über Ricarda

Ich war 15 jahre lang eine Zeugin Jehovas und helfe seit 2004 Zeugen Jehovas beim Ausstieg und der Verarbeitung ihrer Sektenzugehörigkeit. Daneben beantworte ich gern alle Fragen rund um die zeugen jehovas, helfe Menschen, die sich von Zeugen Jehovas belästigt fühlen und solchen Personen, deren Angehörige bei den Zeugen sind oder Gefahr laufen in die Sekte zu geraten.
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